Landkreis Havelland
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Auszug - Einwohnerfragestunde  

 
 
Sitzung des Jugendhilfeausschusses
TOP: Ö 2
Gremium: Jugendhilfeausschuss
Datum: Mi, 16.11.2022 Status: öffentlich/nichtöffentlich
Zeit: 16:15 - 18:10
Raum: Oberstufenzentrum Havelland, Schulteil Nauen, Aula
Ort: Zu den Luchbergen 26 - 34, 14641 Nauen

 

Sitzungsverlauf

 

Herr Köpernick, Ehrenamtlicher Bürgermeister der Stadt Friesack, hat Fragen zu zwei Themenblöcken:

 

1. Thema Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten für die Kinder- und Jugendarbeit

 

Er fragt nach, wer Angebote der Kinder- und Jugendhilfe nach § 11 Jugendarbeit Sozialgesetzbuch Achtes Buch (SGB VIII) finanzieren muss. Die Stadt Friesack hält den Jugendklub „AWO-Hütte“ vor. Nach seiner Kenntnis ist der Landkreis Havelland der örtlich zuständige Träger der öffentlichen Jugendhilfe. Auf der anderen Seite gibt es ein sogenanntes PKR-Programm, gemäß der „Richtlinie des Landkreises Havelland zur Vergabe von geförderten Stellen in der Kinder- und Jugendarbeit“. Danach fördert auch das Land Brandenburg Stellen der Sozialarbeit in der offenen Jugendarbeit. Die Gemeinden müssen sich mit einer Eigenbeteiligung einbringen. Herr Köpernick bittet die Verwaltung bzw. das Gremium um Angabe der Rechtsgrundlage, nach der eigenständige Gemeinden, Verbandsgemeinden (Ämter oder auch amtsangehörige Gemeinden) Angebote der Kinder- und Jugendhilfe nach § 11 Jugendarbeit SGB VIII mitzufinanzieren haben.

 

Frau Wolfram, Referatsleiterin, stimmt zu, dass die Betreibung eines Jugendklubs ein Angebot der öffentlichen Jugendhilfe nach § 11 Jugendarbeit SGB VIII ist. Gleichzeitig ist der Jugendklub ein Freizeitangebot für die in einer Gemeinde lebenden Kinder und Jugendlichen. Die Leistungsverpflichtung für die Gemeinde ergibt sich nach § 2 - Aufgaben und Erstattung von Kosten - der Kommunalverfassung des Landes Brandenburg. Dort heißt es, dass zu den Aufgaben der Gemeinde unter anderem die „harmonische Gestaltung der Gemeindeentwicklung“ gehört. Dazu zählen „die gesundheitliche und soziale Betreuung, die Sicherung und Förderung eines breiten Angebotes an Bildungs- und Kinderbetreuungseinrichtungen und die Entwicklung der Freizeit- und Erholungsbedingungen.“ In einem Jugendklub werden montags bis freitags nicht nur sozialpädagogisch wertvolle Projekte durchgeführt, sondern natürlich auch Freizeitangebote. Hier ist die Gemeinde mit in der Verantwortung, führt Frau Wolfram aus.

 

Zum angesprochenen PKR-Programm erklärt Frau Wolfram, dass sich diese Förderung aus der Personalkosten-Richtlinie des Landes Brandenburg entwickelt hat. Anfänglich übernahm das Land 25 Prozent der Personalkosten der pädagogischen Fachkräfte. Der Finanzierungsplan sah vor, dass der Landkreis inklusive der Landesmittel 55 Prozent der Personalkosten übernimmt. 45 Prozent der Kosten sollten die Gemeinden unter Heranziehung der freien Träger übernehmen. Als angemessenen Eigenanteil des Trägers an den Kosten gab man 10 Prozent an.

Inzwischen zahlt das Land Brandenburg für die geförderten sozialpädagogischen „PKR“-Fachkräfte in der Kinder- und Jugendarbeit nur noch einen Festbetrag in Höhe von 9.750,00 Euro pro Stelle und Jahr. Der Landkreis übernimmt dennoch 55 Prozent und trägt damit den größeren Anteil. Dieser wächst weiter mit dem Anstieg der Personalkosten. Auch der Kostenanteil für die Gemeinden steigt. Er erhöht sich, weil die wenigsten Träger der offenen Jugendarbeit im Landkreis in der Lage sind, einen Eigenanteil zu leisten. Die freien Träger bringen sich mit Engagement, Zeitaufwand und ggf. Sach- und Materialkosten ein.

 

Herr Köpernick fragt nach, ob der Landkreis die vollen Personalkosten tragen würde, wenn eine Gemeinde sich den Aufwand nicht mehr leisten kann.

 

Frau Wolfram führt aus, dass es tatsächlich solch einen Fall im Landkreis Havelland gibt. Aus Kostengründen hat eine Gemeinde die Personalstelle für die offene Jugendarbeit an den Landkreis zurückgegeben. Der betreffende Jugendklub musste geschlossen werden und die Jugendarbeit liegt seitdem brach. Dieser Zustand ist für den Landkreis nicht zufriedenstellend. Wenn sich eine Gemeinde jedoch nicht entsprechend der Festlegungen beteiligt, tritt der Landkreis auch von der Förderung zurück. Da der Landkreis in Friesack Träger der Kooperationsschule und des Oberstufenzentrums ist, fallen für die Stadt Friesack bzw. das Amt Friesack keine Personalkosten für die Schulsozialarbeit an. Die Gegenfinanzierung übernimmt hier auch der Landkreis Havelland, konkret das Schulverwaltungsamt. Mit Ehrenamt, niedrigschwelligen oder temporären Angeboten oder in Eigenverantwortung von jungen Menschen kann Jugendarbeit teilweise realisiert werden. Auch dafür trägt die Gemeinde eine Verantwortung.

 

Herr Köpernick möchte darüber hinaus wissen, ob die Träger bzw. die eingesetzten Fachkräfte der Aufsicht und Kontrolle unterliegen. Er hat gehört, dass insbesondere bei den PKR-Stellen die freien Träger keiner Berichtspflicht gegenüber dem Jugendamt unterliegen, sondern eine sogenannte Selbstevaluation (Selbstkontrolle) gewünscht ist. Er richtet seine Frage an das Gremium und bringt zum Ausdruck, dass selbst der Jugendhilfeausschuss an Berichten interessiert sein könnte, da gerade in einem so sensiblen Bereich schutzbefohlene Kinder und Jugendliche betreut werden. Seiner Meinung nach ist eine fachliche Prüfung erforderlich.

 

Frau Wolfram bezieht Stellung. Der Fachbereich Jugendförderung begleitet die pädagogischen Fachkräfte in ihrer Arbeit. Regelmäßig finden Erfahrungsaustausche, Fachtage, Fortbildungen und vor Ort Besuche in den Einrichtungen statt. Die Träger sind verpflichtet, mit den Fachkräften jährlich Zielvereinbarungen abzuschließen, die sich an dem Jugendförderplan orientieren müssen. Die Zielvereinbarungen sind in der Verwaltung einzureichen. Notwendig sind ebenfalls Abrechnungen für die finanziellen Förderungen und Sachberichte. Mit den Trägern arbeitet das Referat 52 Kinder- und Jugendförderung im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft nach § 78 SGB VIII Kinder- und Jugendarbeit (AG 78) eng zusammen.

 

Herr Gall, Beigeordneter und Dezernent, ergänzt, dass die Jugendarbeit zugleich eine Aufgabe der öffentlichen/kommunalen Träger und der freien Träger ist. Die geteilte Verantwortung widerspiegelt sich auch in der Zusammensetzung des Jugendhilfeausschusses, der mit sechs Mitgliedern des Kreistages, vier Mitgliedern der freien Träger und weiteren Institutionen besetzt ist. Die Träger haben eine Trägerhoheit und tragen Verantwortung unter anderem dafür, die rechtlichen Standards des Kinder- und Jugendschutzes zu erfüllen. Das Jugendamt schließt Vereinbarungen gemäß Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdungen nach § 8a Abs. 4 SGB VIII mit den Trägern ab. Die Verwaltung darf davon ausgehen, dass sofern der Landkreis als öffentlicher Träger einem freien Träger einen Personalkostenzuschuss gewährt, dieser freie Träger die Vereinbarungen auch einhält. Das betrifft alle Handlungsfelder der Jugendhilfe. Für Einrichtungen der Kindertagesbetreuung und Vollzeitpflege gibt es zusätzlich die Betriebserlaubnisbehörde, die beim Ministerium für Bildung, Jugend und Sport (MBJS) des Landes Brandenburg angesiedelt ist. Die Aufgaben der offenen Jugendarbeit nach den §§ 11 - 14 SGB VIII sind erlaubnisfrei, deshalb führt die Verwaltung mit den Trägern Qualitätsdialoge und prüft Sach- und Finanzberichte. Orientierung für die Zusammenarbeit geben nicht zuletzt auch die Fachplanungen wie der Jugendförderplan, die im Jugendhilfeausschuss beschlossen werden.

 

Herr Köpernick regt an, dass die Gemeinden an den Qualitätsdialogen beteiligt werden.

 

2. Thema Pflichten des Jugendamtes, wenn es um Umgangsverweigerung, Kindesentzug und Eltern-Kind-Entfremdung geht

 

Herr Köpernick berichtet, dass etwa ein Drittel der Eltern zur Geburt eines Kindes nicht verheiratet ist. Die Alleinsorge wird in diesen Fällen der Kindsmutter zugesprochen. Der Kindsvater kann einen Antrag auf Sorgerecht stellen. Die Praxis sieht eher so aus, dass das bei etwaiger Blockadehaltung der Kindsmutter familiengerichtlich sehr schwer durchsetzbar ist. Hinzu kommt, dass bei etwa einem Drittel aller Trennungsfamilien der Kontakt der Kinder zum anderen Elternteil abbricht. Hier sind es meistens die Väter, denen das Umgangsrecht verweigert wird. Herr Köpernick möchte wissen, ob dem Jugendamt bewusst ist, dass es in der Pflicht zum aktiven Eingreifen ist, soweit bekannt wird, dass der Umgang zum anderen Elternteil verweigert wird, Kontakte abbrechen und Bindungen verloren gehen. Die Jugendämter sollen proaktiv Bindungsabbrüchen und Entfremdung entgegenwirken und somit einer Gefährdung des Kindeswohls entgegensteuern. Er möchte wissen, wie das Jugendamt diese Aufgabe wahrnimmt. Er verweist auf einen Artikel der Zeitschrift ZKJ Kindschaftsrecht und Jugendhilfe 7/2022, „Zur Notwendigkeit professioneller Intervention bei Eltern-Kind-Entfremdung - Teil 1“ (Anlage 1).

 

Frau Oetzmann, Amtsleiterin, erklärt, dass sich das Jugendamt der proaktiven Rolle bewusst ist. Vorab möchte sie erwähnen, dass es egal ist, ob Mütter oder Väter Probleme bereiten - letztlich geht ein solches Handeln immer zu Lasten der Kinder. Seit einigen Jahren haben die Väter die Möglichkeit, ihr Recht auf geteiltes Sorgerecht beim Familiengericht durchzusetzen, sofern die Kindsmutter dem nicht zustimmt. Ihrer Erfahrung nach haben Väter dafür durchaus gute Chancen. Ausschlusskriterium wäre nur die Gefährdung des Kindeswohls durch das andere Elternteil (in dem Fall durch den Kindesvater), wenn diese nachvollziehbar dokumentiert wurde und tatsächlich nachweislich vorliegt. Frau Oetzmann sind Fälle bekannt, bei denen der Kindsmutter das alleinige Sorgerecht entzogen und dem Kindsvater zugesprochen wurden, z. B., wenn die Mutter Unwahrheiten erzählt hat, um damit Umgänge zum anderen Elternteil zu unterbinden. Das Jugendamt ist bestrebt, Väter in ihren Rechten zu stärken. Bei einer Trennung bleiben trotzdem beide Elternteile Eltern des Kindes, die für das Wohlbefinden des Kindes wichtig sind. In den Beratungsgesprächen mit den Familien wird proaktiv vermittelt. Es ist schade, wenn solche Fälle dennoch vor dem Familiengericht enden. Hier ist es im Vorfeld unbedingt erforderlich, beiden Elternteilen die Wichtigkeit ihrer Rolle für das Kind zu verdeutlichen.

Anlagen:  
  Nr. Name    
Anlage 1 1 Anlage 1 zur Niederschrift - Artikel ZKJ_Intervention-EKE_2022 (754 KB)